Aufruf zur Gründung des BVfDT

Im Jahre 2007 unterzeichnete die Bundesrepublik Deutschland die UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und im Jahre 2013 auch das Unesco-Abkommen zum Schutz immaterieller Kulturgüter. Damit hat jetzt auch eine Diskussion auf höchster Ebene darüber begonnen, was eigentlich bewahrenswerte deutsche Kultur darstellt.

Nachdem sich herausstellte, dass u.a. auch die ungarische Tanzhauskultur (Tanchaz) und das bretonische Tanzfest „Fest Noz“ als anerkannte immaterielle Kulturgüter auf der Liste stehen, ist es eine berechtigte Frage, ob nicht auch der (Volks-)Tanz ein immaterielles Kulturgut in Deutschland darstellt. Die Deutsche Gesellschaft für Volkstanz (DGV) hat einen Versuch unternommen, den deutschen (Volks-)Tanz auf die Vorschlagsliste zu bekommen. Immerhin hat es der "Volkstanz in Deutschland", also alle Arten von Volkstanz, amerikanisch, griechisch usw. auf die Liste der immateriellen Kulturgüter in Deutschland geschafft. Es ist zu konstatieren, daß die deutschen (Volks-)Tänze in den allermeisten Fällen zur Folklore- und Trachtendarbietung für Touristen verwendet werden und keine Rolle mehr im alltäglichen Leben spielen. Wenn in Deutschland wöchentlich (Volks-)Tanz praktiziert wird, dann in erster Linie sog. Internationale Tänze und keine deutschen. Die Szene derjenigen, die deutsche Tänze immer noch tanzen wird immer älter und wird aus demographischen Gründen irgendwann nicht mehr existieren. Festzuhalten ist ebenfalls, dass in erster Linie das überlieferte Erbe an Volkstänzen bewahrt wird und keine Weiterentwicklung oder Rekonstruktion nicht überlieferter Tänze stattfindet. Dies gilt in besonderem Maße auch für die Tanzmusik, die seit Jahrzehnten immer die gleiche ist, weil sich kaum jemand die Mühe macht, Neueinspielungen vorzunehmen.

Das Ziel dieses Bundesverbandes soll es sein, eine Plattform und ein Netzwerk zu bilden als Anlaufstelle für Menschen, die sich für traditionelle und neue deutsche Tänze interessieren, seien es TänzerInnen oder MusikerInnen.

Es gibt viele Einzelinitiativen und Menschen, die sich in ihrem Bereich mit den deutschen Tänzen beschäftigen und es ist an der Zeit, diese Initiativen zu bündeln und damit auch gegenüber der öffentlichen Kulturpolitik konzertiert aufzutreten und zu zeigen, dass die deutsche Tanzkultur nicht nur Pina Bausch u.a. umfasst.

Es soll zudem ein Verband sein, der nicht nur Tanzgruppen umfasst, sondern auch Musiker, die sich mit deutschen Tänzen befassen. Tanz und Musik sind eigentlich eine wichtige Einheit und sollten auch so gesehen werden. Ohne neue Musik wird keine Weiterentwicklung der deutschen Tänze möglich sein. Auch hier muss immer wieder deutlich gemacht werden, dass unser kulturelles Musik-Erbe nicht nur Beethoven und Bach sind sondern, dass es auch so etwas wie „Volks(tanz)musik“ gab, die heute nur noch eine Randexistenz im kulturellen Bereich einnimmt.

 

Der Bundesverband verzichtet ganz ausdrücklich auf die Bezeichnung „Volkstanz“, weil der Begriff „Volk“ bei uns häufig gleich mit einer rechten Gesinnung assoziiert wird und weil auch früher schon nicht das ganze Volk diese Tänze getanzt hat, sondern es eher regionale Ausprägungen gab. Der Begriff „Deutsche Tänze“ wäre dann so zu verstehen wie die Bezeichnungen für andere Nationaltänze auch: Griechische Tänze, Bretonische Tänze usw. Und es geht ganz allgemein und ohne Berührungsängste um Tänze aus dem deutschsprachigen Raum, von Bayern bis Schleswig-Holstein und Ostfriesland bis Sachsen.

Die Auseinandersetzung mit deutschen Tänzen umfasst für die Initiatoren des neuen Verbandes die folgenden Aspekte:

   Überlieferung: Erhaltung der überlieferten Tänze, so wie sie heute noch in Tanz- und Trachtengruppen praktiziert werden, bzw. in schriftlichen Quellen um 1900 odr bei Sammlerinnen wie Aenne Goldschmidt dokumentiert sind.

   Bearbeitung:  Aufbrechen und Weiterentwickeln der überlieferten Formen durch Variationen unter Beibehaltung des traditionellen Schrittmaterials.

   Stilisierung: Neue deutsche Tänze erschaffen bis hin zur Bühnenshow mit modernen und traditionellen Einflüssen.

  Rekonstruktion: Viele deutsche Tänze sind nur dem Namen nach bekannt und wurden nicht schriftlich überliefert und könnten evtl. mit Hilfe von Tänzen aus anderen Ländern oder REgionen rekonstruiert werden. Zudem sind ganze Tanzfamilien, die es sicherlich auch in Deutschland gegeben hat, inzwischen in Vergessenheit geraten, wie z.B. Singtänze, Reigentänze oder Stocktänze und es ist an der Zeit, diese wiederzubeleben.

Der Bundesverband soll sich um die Theorie und Geschichte der deutschen Tänze kümmern und vor allem auch die Vielfalt Deutscher Tänze an interessierte Laien und Profis vermitteln. Als Basis für ein zu erstellendes Ausbildungscurriculum gilt für uns das umfangreichste und genaueste Werk zu den Deutschen Tänzen von Aenne Goldschmidt: Das Handbuch des deutschen Volkstanzes.

Mit Hilfe dieses Handbuches und dem Nachlass von Aenne  Goldschmidt gilt es Multiplikatoren aus allen Regionen Deutschlands auszubilden, die dann vor Ort, die deutschen Tänze weiter vermitteln können oder auch mit dem traditionellen Schrittmaterial künstlerische Darbietungen erarbeiten, die auch auf der Bühne die deutschen Tänze wieder mit Leben erfüllen.